Och nö

Wenn man seine Patienten über lange Zeit, über Jahre behandelt, lernt man diese unweigerlich immer besser kennen. Man tauscht mal persönliche Worte aus, die über das Krankheitsbild hinausgehen, angefangen von Smalltalk („Was hast du am Wochenende gemacht?“), bis hin zu wirklich tiefgreifenden Gesprächen über Eheprobleme oder ähnliches.

Manchen langjährigen Patienten ist auch nicht entgangen, als es mir schlecht ging wegen der Geschichten mit den Soldaten. Manchen habe ich diese Geschichten erzählt. Auch meine Patienten lernen mich besser kennen.

Da ich in der selben Stadt arbeite, wo ich auch wohne, bleibt es nicht aus, dass ich meinen Patienten mal im privaten Bereich begegne: beim Einkaufen, beim Sport, auf dem Schützenfest. Manchmal werden Bekannte von mir zu Patienten; mit manchen Patienten habe ich einen gemeinsamen Bekanntenkreis. Das bleibt halt nicht aus.

Viele meiner Patienten sind chronisch krank (Lymphödeme, neurologische Erkrankungen, Rheuma, …) und daher Dauerpatienten. Einer von ihnen begleitet mich seit meinem ersten Arbeitstag (es ist übrigens jener Patient, der sich über niederländisch sprechende Niederländer geärgert hat). Er hat seit Jahren seinen Termin am gleichen Tag zur selben Zeit. Seit Jahren kommt er zu früh zu seinem Termin um in den Zeitschriften zu lesen oder bleibt länger, um den Artikel zu Ende zu lesen. Als ich den Arbeitgeber gewechselt habe, musste er seinen Termin etwas verlegen. Jetzt kann er die Zeitung nicht mehr zu Ende lesen, denn ich habe Feierabend nach seiner Behandlung. Also verlassen wir die Praxis meist zusammen und auf dem Weg zum Auto unterhalten wir uns noch weiter. Er kommt mit seiner Arbeitskollegin nicht besonders gut klar. Sie ist eine Bekannte von mir, daher kann ich seine Probleme gut nachvollziehen: Seine Kollegin ist nicht immer ganz einfach.

In letzter Zeit geht mir dieser Patient aber etwas auf den Keks, verwickelt mich in Gespräche, die zeitintensiv sind und die meinen Feierabend hinauszögern. Er ist nett, wir verstehen uns gut, keine Frage. Er durfte mich auch mal nach der Arbeit auf ein Eis einladen. Wir kennen uns über 8 Jahre, da fand ich das in Ordnung. Jetzt bittet er mich aber ständig darum, dass er mich mal richtig zum Essen einladen will. Und das finde ich nicht in Ordnung. Das hat – in meinen Augen – Date-Charakter. Das will ich nicht. Er ist Patient, ich bin Therapeutin. Er ist knapp 30 Jahre älter als ich, hat eine Freundin. Und abgesehen davon: Ich habe kein Interesse. Weder an einer Freundschaft noch an sonst was.

Aber er blieb hartnäckig. Fragte mich immer wieder. Letzte Woche ist es dann eskaliert. Er hat mich erneut gefragt, ob wir mal essen gehen. Und ich habe wiederum abgelehnt. Okay, meine Begründung war lahm: Keine Zeit. Die habe ich wirklich nicht. An dem Tag, wenn er seinen Physiotermin hat, habe ich abends Reitstunde. Er hat nachgehakt, gefragt, ob es gegen seine Person geht. Ich habe ihm erklärt, dass wir Patient und Physiotherapeut sind, nichts weiter. Doch das hatte er nicht so stehen lassen wollen. Daraus könne sich doch mehr entwickeln. „Ich habe dich gern und ich möchte dich näher kennenlernen.“ Für den Moment war ich sprachlos. Ich weiß auch gar nicht mehr genau, was ich geantwortet habe. Zumindest habe ich abgelehnt und „…bis nächste Woche dann“ gesagt.

Mir graut es vor dem nächsten Termin.

15 Kommentare zu „Och nö

      1. Würde ich ihm auch so klar kommunizieren. Und dass er mehrfach nach einem „Date“ fragt, finde ich beinahe übergriffig. Da verschwimmen die Grenzen. Und wenn er deine Grenzen nicht respektiert, dann muss er sich eine andere Therapeutin suchen.

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      1. für den normalen menschenverstand sicherlich. die frage ist, wie ein verstrahlter mensch das wahrnimmt…..ich habe auf basisi deiner beschreibung zweifel. konsequent weiter machen.

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    1. Vielleicht fühlte er sich ermutigt, da die Grenzen nicht klar genug gezogen waren… er hat meine Handynummer, gemeinsamer Bekanntenkreis etc.
      Ich hoffe, dass er es jetzt verstanden hat.

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