Mein Vater – Krankheit und Tod

Sommer 22

Puh, mein letzter Beitrag ist schon ganz schön lange her. Im Moment komme ich zu nix J Der Kleine hält mich gut auf Trab und selbst wenn er schläft – so wie jetzt – fehlt mir die innere Ruhe. Da nutze ich die Zeit lieber um was nützliches zu tun (Küche putzen, Essen vorbereiten,…), aber ich muss auch mal an mich selbst denken. Also sitze ich hier vorm Tablet. 

Ich hatte ja bereits geschrieben, dass mein Verhältnis zu meinem Vater kein gutes war. Meine Mutter versuchte in den letzten Jahren immer wieder zu vermitteln, indem sie mich um Verständnis bat, da er doch krank sei. Nein, tut mir leid. Er war auch vor seiner Krankheit kein netter Mensch. Oder er war einfach auch in jüngeren Jahren schon krank – ohne dass es je einer wusste. 

Tatsächlich hatte mein Vater vor ein paar Jahren einen Schlaganfall. Motorisch war soweit alles heil geblieben – in erster Linie hatte das Sprachzentrum gelitten. Wortfindungsstörungen, Verwechseln von Wörtern, etc. Das machte Kommunikation nicht gerade einfacher, zumal er eh nicht gerne redete. Meine Mutter meinte, dass er seitdem auch keine Empathie mehr hatte. Meiner Meinung nach hatte er sie nie. (Ja, das ist nicht leicht für meine Mutter. Denn bei mir kann/konnte sie sich nicht über ihn Ausweinen. Da fehlte mir jegliches Mitgefühl.)

Die Wortfindungsstörungen besserten sich, dennoch blieb mein Vater ruhiger. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann der Anfang vom Ende begann. Oder wie er begann. Plötzlich war mein Vater alt. Bis dahin hatte er sich gut gehalten. War sportlich aktiv (Waking und Rehasport) und machte viel zu Fuß. Das ging irgendwann nicht mehr. Da ich nicht vor Ort lebe, habe ich das alles nicht so mitbekommen. 

Als äußerst seltene Nebenwirkung seines Cholesterinsenkers bekam mein Vater eine Polymyositis: eine Schwäche sämtlicher Muskeln. Gehen, aufstehen, kauen, schlucken – alles wurde beschwerlich. Fürs Essen hatte mein Vater sich nie viel Zeit genommen. Wieso hinsetzen wenn man das Brot auch eben im Stehen essen konnte? Warum groß kauen wenn man doch auch den ganzen Bissen schlucken konnte? So kam es, dass er sich immer häufiger verschluckte und daraufhin eine Lungenentzündung bekam (Fremdkörper in der Lunge). 

So begann der Teufelskreis. Er wurde schwächer, das Essen wurde schwieriger, er verschluckte sich wieder, bekam wieder eine Lungenentzündung, die den Körper weiter schwächte und so weiter. Schließlich bekam er eine Magensonde, damit er sich erholen konnte ohne die Gefahr des Verschluckens. Zu dem Zeitpunkt war er so geschwächt, dass er nicht alleine aufstehen konnte, nicht alleine zur Toilette, nichts. Den Pflegedienst wollte er nicht in Anspruch nehmen. Wozu auch, er sei doch verheiratet. Meine Mutter fiel aus allen Wolken. Sie war stinksauer und setze ihm die Pistole auf die Brust: „Entweder du tust alles um wieder fit zu werden oder du gehst ins Heim.“  

Er machte tatsächlich fleißig seine Physio- und Ergotherapie. Trotzdem ließ meine Mutter ihn (heimlich) auf die Warteliste fürs Altenheim setzen. Sicher ist sicher 😉

Mein Vater wurde wieder fitter, konnte sich im Erdgeschoss selbstständig bewegen. Die Magensonde wurde entfernt, weil er wieder essen wollte. Meine Mutter kochte extra für ihn, passierte das Essen, damit er besser schlucken konnte. Und eines Tages erwischte sie ihn, wie er sich eine Hand voll Nüsse in den Mund warf. (Ohne Kommentar, was soll man dazu sagen.)

Irgendwann hatte er wieder eine Lungenentzündung, musste wieder stationär. Ich weiß noch, dass das letztes Jahr im August war. Der Knuffelcontact und ich hatten gerade Urlaub in dem wir unseren Umzug ins gemeinsame Haus organisiert hatten. Die Möbel standen alle an ihrem Platz, die Kartons waren noch nicht alles ausgepackt, da kam der Anruf von meiner Mutter. Also fuhr ich hin. Mein Bruder war auch da. Wir wollten zusammen auf die Intensivstation. Zu dem Zeitpunkt war das noch kompliziert wegen Corona. Eigentlich durfte im Krankenhaus jeder Patient nur von einer Person am Tag besucht werden. Für meinen Vater wurde eine Ausnahme gemacht, so schlecht stand es um ihn. Natürlich musste man einen negativen Coronatest vorweisen. Ich war erschrocken, wie schlecht meine alte Heimatstadt dahingehend organisiert war. Es gab nur zwei Teststationen. Eine im Gewebegebiet, eine in der Innenstadt. Zum Vergleich: In meinem jetzigen Wohnort hatte ich im Umkreis von einem Kilometer mindestens drei Teststationen. Im gesamten Stadtgebiet (genauso groß wie die alte Heimat) über 20. 

Mein Vater sah beschissen aus. Wie der alte Mann, der er war. Er lag am Sauerstoffgerät, bekam über eine Pumpe Medikamente zur Kreislaufstabilisierung und er war dialysepflichtig geworden. Als wir da waren, reagierte er kein mal auf uns. Erst als wir uns verabschiedeten und meine Mutter sagte: „Ich komme morgen wieder“ antwortete er: „Brauchst du nicht.“ Meine Mutter war tief getroffen. 

Das war Freitags gewesen. Am Montag hatte ich meinen ersten Arbeitstag nach dem Urlaub. Ich war morgens gerade in der Praxis angekommen als mein Bruder anrief: „Das Krankenhaus hat angerufen. Sie stellen heute die Geräte ab. Möchtest du kommen?“

Äh, möchte ich? Nicht wirklich. Doch ich sollte, oder? Ich fuhr nach Hause, aber ich ließ mir Zeit. Stellte die Mülltonnen wieder hinter das Haus, denn die Müllabfuhr war bereits dagewesen. Räumte die Küche auf und machte mich dann doch auf den Weg. Am Krankenhaus bekam ich keinen Parkplatz, also fuhr ich weiter zu meinem Elternhaus. Von dort aus war es nicht weit zu Fuß. Achja, mir fehlte noch der Coronatest. Den hätte ich auch auf der Arbeit machen können. Mist. Vergessen. Aber im Krankenhaus war man gnädig, ich konnte dort vor Ort den Test machen. (Mal ganz im Ernst, ich musste einen negativen Test vorweisen, Mundschutz, Handschuhe und Kittel tragen um zu meinem sterbenden Vater zu gelangen… Wo wäre denn der Unterschied gewesen, wenn ich ihn noch mit Corona infiziert hätte? So ein Quatsch.)

Die Medikamente waren zu dem Zeitpunkt schon abgesetzt worden. Er hing nur noch am Sauerstoff. Als ich ankam, wurde auch dieser ausgesetzt. Ob man jetzt wirklich auf mich gewartet hatte, oder ob das ein normales Procedere ist, kann ich nicht sagen. Der Arzt sagte, dass es jetzt schnell gehen oder aber Stunden dauern könne. Das könne man nicht sagen. 

Es dauerte 15 Minuten. 

4 Kommentare zu „Mein Vater – Krankheit und Tod

  1. Mein Beileid. Auch ich hatte ein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater, der vor fünfeinhalb Jahren im Krankenhaus verstorben ist. Gut, dass es bei deinem Vater „nur“ 15 Minuten gedauert hat, bis er gegangen ist.

    Alles Gute für dich und deine Familie. Ich denke, deine Mutter wird euch Kinder jetzt an ihrer Seite brauchen. Ich wünsche dir viel Kraft dafür.

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  2. Da wünscht man sich dann doch der sofortigen Unfalltod statt so einem längeren Dahingleiten (auch für die Angehörigen).

    C-Schutzmaßnahmen aber vielleicht auch für das Klinikumpersonal?

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  3. Das Verhältnis zwischen Dir und Deinem Vater kannst nur Du beurteilen. Du hast Dich so verhalten, wie es für Dich in Ordnung ist.
    Meine Frau sagt immer: jeder bekommt dass – was er auch verdient!
    Und wenn ich Deine Geschichte so lese, dann hat er es auch genau so verdient !

    G. l. G. Jochen

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  4. Jeder stirbt allein und für sich. Wir haben es alle vor uns.

    Mein Beileid für dich. Ich war 22 auch betroffen.

    Übrigens gibt es wirkungsvolle Alternativen zu Statinen. Soweit muss es mit der Muskulatur nicht kommen.

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